Foto zeigt Person von hinten mit einer Moderationskarte in der Hand, auf der das Wort Angst steht

Umgang mit Antisemitismus in der Schule

Die nachfolgenden Abschnitte fassen wichtige Handlungsempfehlungen aus der aktuellen Literatur zu einer antisemitismuskritischen Bildung in der Schule zusammen. Die Wirksamkeit dieser Empfehlungen dürfte u. a. davon abhängen, dass sie nicht isoliert, sondern in Kombination betrachtet, abgestimmt und umgesetzt werden: als ineinandergreifende Komponenten eines umfassenden Antidiskriminierungskonzeptes der Schule. Eine Liste empfohlener Literatur findet sich im Anhang.
Text: Andreas Weinhold | Bildungspartner NRW

1. Einen geeigneten Gesprächsrahmen schaffen

Insbesondere bei Fragen rund um Terror und Krieg im Nahen Osten können Unterrichtsgespräche schnell scheitern; an der Komplexität des Themas zum Beispiel, an seiner emotionalen Wucht oder weil es zu einem Durcheinander von wissensbasierten und ressentimentgeladenen Äußerungen kommt. Von der gewählten Sozialform hängt daher einiges ab. Um die Gefahr des Scheiterns zu minimieren, können folgende Empfehlungen nützlich sein:

  • Eine offene Atmosphäre schaffen, in der alle angstfrei und ehrlich diskutieren, auch ihre Zweifel und Unsicherheiten artikulieren können.
  • Zunächst Fragen und Interessen sammeln, clustern und erst nach gründlicher Vorbereitung bzw. mit externer Unterstützung thematisieren.
  • Gesprächsregeln festlegen. Zum Beispiel ein Stoppsignal vereinbaren, das alle nutzen können, wenn es zu Regelverstößen kommt. In jedem Fall sind direkte persönliche Angriffe und Anschuldigungen, diskriminierende, stigmatisierende, pauschalierende, gewaltverherrlichende, extremistische und entwürdigende Aussagen auszuschließen.
  • Für Themenklarheit sorgen. Worüber wird gesprochen? Über die jüdische Religion, über deutsche bzw. in Deutschland lebende Jüdinnen und Juden oder über Israel, über den Terror vom 7. Oktober 2023, die Vorgeschichte, die aktuelle Situation oder mögliche Lösungsszenarien des Nahost-Konfliktes? Es kann und darf nicht alles gleichzeitig besprochen werden.
  • Für Themenbegrenzung sorgen. Das heißt u. a. deutlich machen, dass nicht alle Fragen und Sorgen vollumfänglich besprochen, schon gar nicht alle Probleme gelöst werden können. Auf manche Fragen gibt es keine einfachen Antworten.

Dazu praxisnahe Hinweise des hessischen Kultusministeriums und der Goethe Universität Frankfurt am Main: Kompetenzzentrum Schulpsychologie Hessen (Hg.), Schulpsychologische Hinweise zum Umgang mit den Folgen des Angriffs auf Israel, Frankfurt am Main 2023, online

2. Orientierung an der »Achse Prävention – Intervention - Repression« (Julia Bernstein)

Prävention: Schülerinnen und Schüler über Geschichte, Funktionen, Mechanismen und Manifestationen von Antisemitismus aufklären und in die Lage versetzen, ihn zu erkennen und sich dagegen positionieren zu können.

  • Dazu zum Beispiel das von Bildungspartner NRW herausgegebene BIPARCOURS-Angebot »Kein Bock auf Antisemitismus«: online

Intervention: Konsequentes Einschreiten bei jeder antisemitischen Äußerung. Eindeutige Grenzen setzen und vermitteln, dass Antisemitismus keinesfalls akzeptiert wird. Dabei Schülerinnen und Schüler nicht auf ihre antisemitische Position oder Handlung festschreiben oder einen Generalverdacht gegen bestimmte Gruppen (z. B. die Muslime) äußern. Immer erklären, was genau an einer Position oder Handlung antisemitisch ist. Schülerinnen und Schülern die Gelegenheit geben, sich gesichtswahrend und glaubhaft von ihrer Position oder Handlung zu distanzieren. Und, ganz wichtig: Selbstreflexion ermöglichen (etwa: »Kannst du diese Aussage begründen?«, »Wo kommt diese Position her?«, »Was macht sie für dich attraktiv?«)

Repression: Erzielen Interventionen keine Wirkung, bedarf der pädagogische Umgang mit antisemitischen Haltungen und Handlungen (in der Diktion Julia Bernsteins) auch der »Repression«. Das bedeutet, dass Schülerinnen und Schülern, die trotz wiederholter Interventionen weiterhin antisemitisch handeln, auch mit Ordnungsmaßnahmen, bei besonders schwerwiegenden Handlungen mit einer Strafanzeige zu begegnen ist.

Zu dem Dreischritt vgl. Julia Bernstein, Florian Diddens, Umgang mit Antisemitismus in der Schule, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Berlin 2020, online sowie Alexandra Kurth, Samuel Salzborn, Antisemitismus in der Schule, Grundannahmen für die schulische Präventionsarbeit, Berlin 2019 (Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung), online

3. Antisemitismus immer stoppen, stets klar Position beziehen

Für den Umgang mit antisemitischen Äußerungen in der Schule gibt es kein pädagogisches Neutralitätsgebot. Verurteilungen der Politik Israels in Unterrichtsgesprächen zuzulassen, obwohl sich darin israelbezogener Antisemitismus manifestiert, trägt zur Normalisierung und Verharmlosung von Antisemitismus bei. Antisemitische Feindbilder müssen als solche benannt und als falsch, unwahr und potentiell strafwürdig zurückgewiesen werden. Sollte sich herausstellen, dass einzelne Schülerinnen oder Schüler für eine kritische Selbstreflexion nicht zugänglich sind oder auf ihren antisemitischen Parolen bestehen, ist von einer Auseinandersetzung auf fachlich-argumentativer Ebene abzuraten. Stattdessen sollten weitere antisemitische Äußerungen strikt unterbunden werden. Keinesfalls sollte Schülerinnen und Schülern mit einem bereits geschlossenen antisemitischen Weltbild eine Bühne für Hassreden geboten werden. Abgesehen davon, dass Menschen, die Hass verbreiten, für Logik und Argumente kaum erreichbar sind, könnte bei anderen Schülerinnen und Schülern schnell der Eindruck entstehen, antisemitische Verschwörungserzählungen seien eine diskussionswürdige Meinung.

4. Externe Unterstützung in Anspruch nehmen

Bei einem so komplexen Thema wie Antisemitismus, insbesondere vor dem Hintergrund eines aktuellen Kriegs- oder Konfliktgeschehens, kann es im akuten Fall sinnvoll sein, sich fachliche Unterstützung von außen in die Schule zu holen. Zum Beispiel von:

  • ADIRA (Antidiskriminierungsberatung und Intervention bei Antisemitismus und Rassismus in Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde Dortmund)
  • Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus NRW (nach Regierungsbezirken geordnet, z. B. im Regierungsbezirk Düsseldorf)
  • SABRA (zivilgesellschaftliche Servicestelle für Antidiskriminierungsarbeit des Landes NRW in Trägerschaft der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf)
  • RIAS NRW (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Nordrhein-Westfalen, nimmt antisemitische Vorfälle auf und vermittelt weitergehende psychosoziale, juristische, Antidiskriminierungs- und Opferberatung, ist beim Umgang mit den Behörden und der Polizei behilflich),
  • Systemberatung Extremismusprävention (SystEx) für Schulen (bei den schulpsychologischen Beratungsstellen der Kreise und kreisfreien Städte in NRW).

Auch viele NS-Gedenkstätten und –Erinnerungsorte in NRW kommen für eine externe Beratung und fachliche Unterstützung in Frage: Arbeitskreis der NS-Gedenkstätten und -Erinnerungsorte in NRW e. V..

5. Elternarbeit gegen Antisemitismus

Eltern können bei der Verbreitung antisemitischer Haltungen unter Schülerinnen und Schülern verschiedene Rollen spielen: sie können die primären Bezugspersonen sein, die antisemitische Einstellungen auf ihre Kinder übertragen; sie können antisemitisches Handeln ihrer Kinder durch Gleichgültigkeit oder mangelnde erzieherische Konsequenz begünstigen; und selbstverständlich kommen sie auch als Vorbilder in Frage, die eine rassismus- und antisemitismuskritische Grundhaltung vorleben. Die Einbeziehung der Eltern in pädagogische Maßnahmen und Interventionen gegen Antisemitismus ist daher von grundlegender Bedeutung. Der Spielraum für eine antisemitismuskritische Elternarbeit ist groß: er reicht von Elternbriefen über eine Beteiligung der Schulpflegschaft an pädagogischen Maßnahmen bis hin zur konfrontativen Ansprache von Eltern, deren Kinder durch antisemitische Äußerungen aufgefallen sind. Das Ziel muss sein, an die Adresse aller Eltern sehr deutlich und regelmäßig das Signal auszusenden, dass Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit nicht nur nicht geduldet, sondern durch ein systemisches Ineinandergreifen von fachlichen Lernangeboten, pädagogischen Interventionen, Ordnungsmaßnahmen und Strafanzeigen beantwortet werden.

6. Jüdisches Leben in Vergangenheit und Gegenwart thematisieren

An Schulen und in den Lernmitteln dominiert häufig der enggeführte Blick auf jüdische Menschen als Opfer historischer Verfolgung und Gewalt. Dabei erscheinen Jüdinnen und Juden oft als passives Opferkollektiv und werden thematisch nahezu ausschließlich mit dem historischen Antisemitismus der Nationalsozialisten und der Shoa verbunden. Es ist selbstverständlich nichts falsch daran, die antisemitischen Massenverbrechen der Nazis möglichst ausführlich zu thematisieren. Damit Jüdinnen und Juden aber nicht nur als Verfolgte in den Blick geraten, bedarf es erstens einer ergänzenden Thematisierung jüdischen Lebens vor 1933, nach 1945 und in der Gegenwart. Zweitens sollten Jüdinnen und Juden auch in Kontexten der Verfolgung als denkende, wahrnehmende und handelnde Menschen betrachtet werden. Hierfür sind vor allem solche Lernangebote geeignet, die eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit aus der Perspektive jüdischer Menschen ermöglichen (etwa Wiedergutmachungsakten in Kommunalarchiven, biographische Lernangebote der Gedenk- und Erinnerungsstätten). Jüdinnen und Juden sind heute mit sämtlichen Erscheinungsformen des Antisemitismus konfrontiert, sowohl mit tradiertem Antisemitismus, der direkte Bezüge zum Nationalsozialismus aufweist, als auch mit dem in der Gegenwart besonders verbreiteten israelbezogenen Antisemitismus. Den Antisemitismus nur als etwas Historisches zu betrachten, kann leicht dazu führen, dass aktuelle Übergriffe nicht erkannt, bagatellisiert oder ignoriert werden.

Zahlreiche Lernangebote zu jüdischem Leben finden sich in der Bildungsmediathek NRW (zum Beispiel s. v. »jüdisches Leben«).

7. Die jüdische Perspektive auf Antisemitismus einbeziehen (Julia Bernstein)

Das Erleben von Antisemitismus aus der Sicht von jüdischen Communities wurde lange gar nicht thematisiert. Die Einschätzung von Antisemitismus in der Mehrheitsgesellschaft differiert allerdings erheblich von seiner Wahrnehmung durch Jüdinnen und Juden. Antisemitische Handlungen sind zwar – wie in politischen Reden oft zu hören ist - eine Gefahr für unsere demokratische Grundordnung. Vor allem aber stellen sie eine reale Bedrohung und eine alltägliche Belastung für jüdische Menschen dar. Das äußert sich durch offen antisemitische Übergriffe wie sprachliche Abwertungen (etwa: »Du Jude!«), Schmierereien im öffentlichen Raum oder strukturelle und physische Gewalt. Die Soziologin Julia Bernstein konnte in ihrer empirischen Studie »Mach mal keine Judenaktion!« zeigen, dass jüdische Kinder und Jugendliche auch einer permanenten »Zuschreibung von Repräsentationsrollen« ausgesetzt sind. D. h. sie werden im Alltag in die Rolle von Stellvertretenden für das Kollektiv aller Jüdinnen und Juden oder des Staates Israel gebracht. Derartige Zuschreibungen verbieten sich gegenüber Angehörigen aller gesellschaftlichen Gruppen. Die jüdische Perspektive in Kontexten antisemitismuskritischer Bildung einzubeziehen, gebietet die Schutzpflicht gegenüber jüdischen Schülerinnen und Schülern. Gerade weil man es im Einzelfall nicht immer weiß, sollte die Möglichkeit ihrer Anwesenheit immer mitgedacht werden!

Vgl. Julia Bernstein, Mach mal keine Judenaktion!, Frankfurt am Main 2018, online.

8. Begegnungspädagogische Angebote machen

Projekte wie »Meet a Jew« des Zentralrats der Juden in Deutschland folgen der sogenannten Kontakthypothese, wonach persönliche Begegnungen mit Mitgliedern fremder Gruppen die Anfälligkeit für Stereotype und Vorurteile reduzieren können. »Meet a Jew« etwa vermittelt ehrenamtlich aktive jüdische Jugendliche und Erwachsene für einen niedrigschwelligen Austausch mit schulischen Lerngruppen (https://www.meetajew.de/). Auch der Besuch eines jüdischen Gemeindezentrums oder die Begegnung mit Gleichaltrigen in Israel per Zoom oder Schüleraustausch kann antisemitischen Ressentiments entgegenwirken. Trotz vieler positiver Rückmeldungen aus Schulen ist der erwünschte Einstellungswandel infolge solcher Angebote aber keineswegs garantiert. Gegen begegnungspädagogische Angebote wird vor allem eingewandt, dass sich Einstellungen durch persönlichen Kontakt auch zum Schlechten verändern können, wenn die Begegnung misslingt. In jedem Fall empfiehlt sich, was zu den Gelingensbedingungen jedes außerschulischen Lernangebotes zählt: eine gründliche Vor- und Nachbereitung, inklusive einer realistischen Klärung vorhandener Selbst- und Fremdbilder sowie von Erwartungen und Interessen. Keinesfalls eignen sich begegnungspädagogische Angebote als Interventionsmaßnahme nach antisemitischen Vorfällen. Begegnungen, bei denen Jüdinnen und Juden einer antisemitischen Atmosphäre ausgesetzt bzw. als vermeintliches Korrektiv für antisemitische Ressentiments instrumentalisiert werden, sind grundsätzlich auszuschließen. Der Schutz der jüdischen Gäste vor antisemitischen Anfeindungen hat Vorrang vor allen begegnungspädagogischen Intentionen.

Zu den Chancen und Grenzen von jüdisch / nicht-jüdischen Begegnungen vgl. Ruth Fischer, Malte Höller, Anerkennen durch Kennenlernen? Begegnungsansätze, in: Anders Denken, Die Onlineplattform für Antisemitismuskritik und Bildungsarbeit, Berlin o. J., online

9. Kritische Selbstreflexion ermöglichen

»Es zeigt sich, dass der Antisemitismus des Antisemiten von keinem äußeren Faktor herstammen kann.« (Jean-Paul Sartre) Anders gesagt: Antisemitische Äußerungen und Handlungen lassen sich nicht durch das Handeln einzelner oder aller Jüdinnen und Juden erklären oder rechtfertigen. Schuld am Antisemitismus sind in den Worten Theodor W. Adornos »allein die, welche besinnungslos ihren Hass und ihre Angriffswut« an jüdischen Menschen auslassen. Eine Erziehung, die antisemitischem Handeln entgegenwirkt, »wäre sinnvoll überhaupt nur als eine zu kritischer Selbstreflexion.« Denn oft befriedigt die naive Übernahme antisemitischer Parolen existenzielle Bedürfnisse nach Orientierung, Zugehörigkeit, Anerkennung und Abgrenzung. Es kommt also darauf an, Schülerinnen und Schüler dazu zu befähigen, ihre eigenen Urteile und Haltungen auf ihre Herkunft und Funktion zu überprüfen. Dazu gehören z. B. Fragen nach den Grenzen der eigenen Perspektive, der Quelle oder Begründbarkeit von Aussagen sowie nach Identität und biografischer Verstrickung. Sich diesen selbstreflexiven Fragen zu stellen, muss aus denselben Gründen übrigens auch der Anspruch aller Unterrichtenden an sich selbst sein!

Die Bestandteile einer kritischen Kompetenzreflexion in Kontexten antisemitismuskritischer Bildungsarbeit haben Autorinnen der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland e. V. und der International School for Holocaust Studies, Yad Vashem, praxisnah zusammengestellt:
Marina Chernivsky, Deborah Hartmann et al., Antisemitismus? Gibt´s hier nicht. Oder etwa doch?, Berlin 2021, S. 20ff. online

Jean-Paul Sartre, Betrachtungen zur Judenfrage, Berlin 1963
Theodor W. Adorno, Erziehung nach Auschwitz, Frankfurt am Main 1970

10. Die Unterschiede zwischen politischer Kritik und israelbezogenem Antisemitismus herausarbeiten

Israelbezogener (bzw. antizionistischer) Antisemitismus unterscheidet sich von legitimer Kritik an der Politik des Staates Israel durch die Bezugnahme auf Muster, Stereotypen und Vernichtungsphantasien des traditionellen Antisemitismus. Er äußert sich zum Beispiel durch die Behauptung, man dürfe Israel wegen der verschwörerischen Einflussnahme jüdischer Eliten nicht kritisieren, die Diffamierung Israels als Wiedergänger des nationalsozialistischen Deutschlands oder die Leugnung des Existenzrechtes eines israelischen Staates (etwa in der Parole „From the river to the sea - Palestine will be free!“).

Vgl. dazu das von der Amadeo Antonio Stiftung herausgegebene Faltblatt »Was ist israelbezogener Antisemitismus?«, Berlin 2023, online

Selbstverständlich können bei der Thematisierung des Nahost-Konfliktes auch völkerrechtswidrige Entscheidungen israelischer Regierungen (zum Beispiel die Annektierung Ost-Jerusalems), die Gewalt nationalreligiöser Siedler oder die rassistische Rhetorik einzelner israelischer Politiker besprochen werden – vorausgesetzt,

  • dass die dabei in den Blick genommenen Gruppen oder Personen für je eine kritikwürdige Position, nicht aber für die politisch äußerst heterogene israelische Gesellschaft als Ganzes stehen.
  • dass die Kritik an diesen Gruppen oder Personen für die Bewertung des genozidalen Antisemitismus der Hamas und mit ihr verbündeter Gruppierungen als völlig irrelevant markiert wird.
  • dass dabei die Grenzen zwischen politischer Kritik und israelbezogenem Antisemitismus beachtet werden.

Für Rechtfertigungen oder Relativierungen des genozidalen Antisemitismus der Hamas etwa als »dekolonialer Befreiungskampf« kann es in Unterrichtsgesprächen keinen Raum geben. Die Hamas begründet ihre Terrorziele mit dschihadistischer Ideologie. Sie steht für das Gegenteil eines Strebens nach Freiheit, weil sie für die Durchsetzung des Islam als theokratisches Regime kämpft. Eine Herrschaft der Hamas hätte auch für die palästinensische Bevölkerung in erster Linie Gewalt, Zwang, Unterdrückung und die Vertreibung von Minderheiten zur Folge. Das Selbstbild der Hamas, wie es ihre Führung in der ersten und zweiten Charta von 1988 bzw. 2017 formuliert hat, lässt daran keinen Zweifel.

Auszüge aus der Charta der Hamas von 1988, zitiert in der tageszeitung am 12.04.2003, online sowie Armin Pfahl-Traughber, Antisemitismus und Antizionismus in der ersten und zweiten Charta der Hamas, Berlin 2023 (Webseite der Bundeszentrale für politische Bildung), online

11. Antisemitische Hetze auf TikTok & Co problematisieren

Die Plattform TikTok hat weltweit über eine Milliarde Nutzende. Laut einer Studie nutzen mehr als Dreiviertel der 14- bis 15-Jährigen den chinesischen Online-Dienst. Mit seiner Popularität wachsen allerdings auch die Probleme unkontrollierter antisemitischer Hetze und Propaganda. Es genügt, auf der Plattform nach »Palestine«, »Palästina« oder »Israel« zu suchen, um auf zahllose Kurzvideos mit Falschdarstellungen, antisemitischen Verschwörungserzählungen und Boykottaufrufen zu stoßen. Der quellenkritische Umgang mit digitalen Medien ist zwar Sache einer langfristigen historisch-politischen Medienbildung. Aber auch vor dem Hintergrund eines aktuellen Konfliktgeschehens lohnt sich der vergleichende Blick auf die Angebote seriöser und nicht-seriöser Informationsquellen. Übrigens gibt es auch seriöse TikTok-Kanäle, die die direkte Ansprache und Ästhetik der Kurzvideos für antisemitismuskritische Informationsangebote an ein jugendliches Publikum nutzen, zum Beispiel der der Frankfurter Bildungsstätte Anne Frank: online

In ihrem Report vom Februar 2024 beschreibt die Bildungsstätte Anne Frank die gravierenden Auswirkungen des TikTok-Konsums auf die politische Meinungsbildung ihrer jugendlichen Zielgruppen: Deborah Schnabel, Eva Berendsen, Die TikTok-Intifada – Der 7. Oktober & die Folgen im Netz, Analyse & Empfehlungen der Bildungsstätte Anne Frank, Frankfurt am Main 2024, online

12. Mögliche Ziele bei der Bekämpfung von israelbezogenem Antisemitismus in der Schule (Rosa Fava)

Die Irritation falscher Grundannahmen, vor allem

  • die Vorstellung eines religiösen, ethnischen oder kulturellen Gegensatzes, wonach sich jüdische und arabische bzw. jüdische und muslimische Menschen in einem grundsätzlichen Konflikt miteinander befinden. Auf beiden Seiten tragen extremistische Gruppen gezielt dazu bei, den politischen und territorialen Konflikt durch religiöse Motive zu verschärfen. Aber gerade im Hinblick auf Religion und Kultur gibt es zahlreiche Gemeinsamkeiten zwischen den Bevölkerungsgruppen, deren nähere Betrachtung sich lohnt.
  • die Gleichsetzung von Jüdinnen und Juden in Deutschland mit bestimmten Gruppen oder politisch Handelnden in Israel oder im Westjordanland.
  • die weitverbreitete Annahme, es habe vor 1948 einen palästinensischen Nationalstaat gegeben, auf dessen Staatsgebiet »die Zionisten« mit Hilfe der USA und Großbritanniens den Staat Israel errichtet hätten.

Die Irritation eines vereinfachten Konfliktverständnisses,

  • das von einer einseitigen Aggression Israels oder des Zionismus gegen eine palästinensische Bevölkerung ausgeht, die wiederum nur als Opfer und ohne eigene politische Strukturen dargestellt wird.

Die Irritation eines statischen und allein von der Gegenwart ausgehenden Konfliktverständnisses

  • Die historische Entwicklung des Konflikts und Veränderungen bei den unterschiedlichen Gruppen bzw. politisch Handelnden müssen thematisiert werden. Auch wenn sie am Ende gescheitert sind - dazu gehört auch der Blick auf vergangene Ansätze und Prozesse zur Beilegung des Konfliktes.

Die Anerkennung von berechtigten Interessen,

  • und zwar auf beiden bzw. verschiedenen Seiten und die Irritation der Wunschvorstellung, einfache Lösungen finden zu können.

Die Irritation einer dichotomen Sichtweise auf den Konflikt entlang der Kategorien »Gut« vs. »Böse«.

  • Unterschiedliche Konfliktakteure mit ihren je unterschiedlichen Positionen sowohl in Israel als auch bei den palästinensischen Organisationen bzw. den arabischen Ländern müssen sichtbar werden.

Der Blick auf den Alltag der Menschen vor Ort,

  • um zur Entwicklung von Empathie mit allen betroffenen Bevölkerungsgruppen anzuregen. In Bezug auf die israelische Gesellschaft etwa dominiert in vorhandenen Lernmitteln oft ein auf die Geschichte und Gegenwart des Nahost-Konfliktes verengter Blick.

Vgl. Rosa Fava, Tipps für ein Lernen über den Nahostkonflikt und die Vermeidung von israelbezogenem Antisemtismus, in: polis aktuell, 5/2022, online

Literatur

Bildungspartner NRW ist eine vertragliche Zusammenarbeit des Ministeriums für Schule und Bildung des Landes NRW und der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen-Lippe.