Impulse für die Kooperation zwischen Gedenkstätten und Schulen
Die nachfolgend aufgelisteten Kooperationsformen verstehen sich als unabgeschlossener, erweiterbarer Baukasten für die praktische Zusammenarbeit zwischen Gedenkstätte und Schule. Selbstverständlich sind auch Variationen oder Kombinationen denkbar. So erscheint es z. B. sinnvoll, einem workshopartigen Lernangebot eine Führung durch die Gedenkstätte voranzustellen, um Schüler*innen mit den örtlichen Gegebenheiten sowie vorhandenen Arbeits- und Recherchemöglichkeiten vertraut zu machen. Die Gedenkstätten und andere Erinnerungsorte haben vielfältige Lernangebote entwickelt, die Schulen in Anspruch nehmen können. Im Sinne einer wechselseitig anschlussfähigen, den Lernvoraussetzungen angemessenen Kooperation empfiehlt sich grundsätzlich eine individuelle Absprache zwischen schulischen Lehrkräften und den Fachkräften der jeweiligen Gedenkstätte sowie eine Vor- und Nachbereitung des Gedenkstättenbesuches durch die Lerngruppe.
Archivrecherche
Das forschend-entdeckende Lernen in einem Archiv kann die in der Schule erworbenen historisch-politischen Kompetenzen von Schüler*innen um wesentliche methodische Fähigkeiten bereichern. Viele Gedenkstätten und andere Erinnerungsorte verfügen über ein eigenes Archiv. Sie enthalten vielfältige Text- und Sachquellen, die in Findbüchern erschlossen, im Fachunterricht verwendet oder bei der Anfertigung von Fach- oder Projektkursarbeiten genutzt werden können.
Beratung bei Facharbeiten und Projektkursen
In der gymnasialen Oberstufe müssen Schülerinnen und Schüler eine umfangreiche Facharbeit verfassen oder einen Projektkurs belegen. Dabei setzen sie sich erstmals mit den Formen und Regeln des wissenschaftlichen Arbeitens auseinander. Gedenkstätten und andere Erinnerungsorte bieten Interessierten Hilfestellungen bei der Themenfindung, der Recherche und der Auswahl geeigneter Materialien. Eine besondere Motivation kann vom lokalgeschichtlichen Bezugsrahmen der Themen oder von biografischen Zugriffen auf die Vergangenheit ausgehen.
Diskussionsveranstaltungen
Der Besuch in einer Gedenkstätte oder an einem anderen Erinnerungsort provoziert zum gegenseitigen Meinungsaustausch. Die hier tätigen Fachkräfte bieten daher oft im Anschluss an ihre Führungen oder Workshops Foren für historisch-politische Diskussionen an. In einem Stil, der sich z. B. durch die verfügbare Zeit von schulischen Diskussionsangeboten unterscheiden kann, werden Schüler*innen darin gefördert, ihre Meinung frei zu äußern, Fragen zu stellen und das Gelernte mit der eigenen lebensgeschichtlichen Erfahrung zu verknüpfen. Sie entwickeln dabei grundlegende historische Handlungskompetenzen. Gegebenenfalls lassen sich derartige Diskussionsangebote mit Experten- oder Zeitzeugengesprächen kombinieren.
Führungen, dialogische Führungen
In der direkten Kommunikation mit Schüler*innen können Fachkräfte der Gedenkstätten auf deren Fragen und Interessen unmittelbar eingehen und reagieren. Üblich und empfehlenswert erscheint eine kurze Führung zu Beginn des Besuches, nicht länger als eine halbe bis dreiviertel Stunde. Im Idealfall hat die Führung die Funktion eines Einstieges in die schüleraktivierenden Lernangebote der Gedenkstätte.
Die zahlreichen Kriegsgräberstätten, die in (fast) jeder Gemeinde, jedem Ort in NRW zu finden sind, bieten sich als außerschulische Lernorte »vor der eigenen Haustür« an. In verschiedenen Herangehensweisen können die Gräber an solchen Orten sowie vorhandene Denkmäler von Schüler*innen erschlossen werden. Wer liegt auf einer Kriegsgräberstätte begraben? Wie alt wurden diese Personen? Woher kamen sie? Auf diese Weise können z.B. Steckbriefe der Kriegstoten erstellt oder vorhandene (Kriegs-)Denkmäler auf ihre ikonografische Beschaffenheit untersucht werden. Fachkräfte der Gedenkstätten oder Referen*tinnen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge können oftmals weitere Informationen zu den Kriegstoten der Stadt oder den Einzelbiografien der Opfer geben bzw. unterstützen die Recherche in den Archiven. Derartige Erkundungen werfen Fragen an die kommunale oder regionale Vergangenheitspolitik auf und bereiten auf die aktive Teilhabe an der öffentlichen Erinnerungskultur vor. Lerngruppen können mit einer Patenschaft die Verantwortung für die Pflege einer Kriegsgräberstätte übernehmen.
Gedenktage
Viele Schulen nutzen den Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar zur unterrichtlichen Auseinandersetzung mit dem Holocaust. In manchen Kommunen ist es in jedem Jahr Aufgabe einer Schule, das öffentliche Gedenken an die Opfer der Nazi-Verbrechen zu gestalten. Die Gestaltung dieses und anderer Tage des Gedenkens eröffnet Schüler*innen vielfältige Möglichkeiten der Teilhabe an der öffentlichen Erinnerungskultur. Die Fachkräfte der Gedenkstätten sowie der außerschulischen politischen Jugend- und Erwachsenenbildung können die Schulen bei der Durchführung von Gedenkveranstaltungen beraten und unterstützen.
Geschichtswettbewerbe
Vor allem der Geschichtswettbewerb des Bundespräsidenten, der alle zwei Jahre ausgeschrieben wird, erregt großes Aufsehen. Während der Laufzeit eines halben Jahres vom 1. September an beschäftigen sich Schülerinnen und Schüler gezielt mit einem historischen Thema. Beim forschend-entdeckenden Lernen im eigenen Umfeld bekommen die makrohistorischen Großereignisse der Vergangenheit einen lebensweltlichen Bezug. Die Fachkräfte der Gedenkstätten und anderer Erinnerungsorte unterstützen die interessierten Schülerinnen und Schüler bei ihrer Entdeckungsreise durch die Zeit. Sie helfen bei der Themenfindung und beim Umgang mit Quellen und alten Handschriften sowie bei der Erstellung eines Wettbewerbsbeitrages.
Gespräche mit Zeitzeuginnen und Zeitzeugen
Zeitzeuginnen und Zeitzeugen bieten Lerngruppen eine sehr persönliche Rückschau auf die Vergangenheit. Zeitzeugenbasierte Lernangebote eignen sich nicht nur für das gemeinsame Rekonstruieren vergangener Ereignisse. Sie machen die Geschichte als erzählerisches Konstrukt durchschaubar und eignen sich daher auch für ein dekonstruierendes Lernen, bei dem es z. B. auf das Erkennen von Erzählmustern oder Erzählabsichten ankommt. Bei gründlicher Vor- und Nachbereitung fördern sie eine ganz elementare Fähigkeit bei Lernden: gute Fragen stellen zu können. Gedenkstätten können Schulen dabei unterstützen, geeignete Zeitzeuginnen und Zeitzeugen zu finden und ein Gespräch mit ihnen vor- und nachzubereiten.
Historische Stadtrundgänge
Die Fachkräfte der Gedenkstätten und anderer Erinnerungsorte sind Spezialisten für die Geschichte der eigenen Stadt, Gemeinde oder des eigenen Kreises. Bei historischen Stadtrundgängen können sie Schülergruppen in die Vorgeschichte von Plätzen, Gebäuden und Stadtteilen einführen. Straßen- und Ortsnamen können erklärt und in ihren historischen Bezug gesetzt werden. Schüler*innen sehen ihr tägliches Umfeld mit anderen Augen und entdecken die Spuren, die vergangene Generationen vor Ort hinterlassen haben. Abstrakte historische Strukturen bekommen auf diese Weise eine greifbare Kontur. Die öffentliche Erinnerungskultur, wie sie sich etwa in Straßennamen oder Denkmälern niederschlägt, verliert ihre Selbstverständlichkeit. Diese Kooperationsform eignet sich besonders für schüleraktivierende Angebote. Eine digitale Variante des historischen Stadtrundganges ist das Geocashing. Ein Geocache ist ein wasserdichter Behälter, der, für Passanten unsichtbar, an einem Erinnerungsort abgelegt wurde. In dem Behälter sind Informationen zum Ort, Lernaufgaben oder die Koordinaten der nächsten Fundstelle enthalten. Schülerinnen und Schüler finden den Cash, indem sie seine geografischen Koordinaten in das GPS-Tool ihres Smartphones eingeben. Auch in NRW erinnern bereits zahllose Cashes an erinnerungswürdige Orte, Personen und Ereignisse. Gedenkstätten und andere Anbieter erinnerungskultureller Lernangebote können auf diese Weise Schüler*innen mit der Vorgeschichte ihres Wohnortes oder Stadtteils konfrontieren.
Klassen- und Kursfahrten zu Gedenkstätten und anderen Erinnerungsorten
Für umfangreichere Projekte im Rahmen von Klassenfahrten bieten die Gedenkstätten und die Träger der außerschulischen politischen Jugend- und Erwachsenenbildung die Möglichkeit, ihre Bildungswerke oder Jugendbegegnungsstätten zu besuchen. Dort stehen pädagogische Mitarbeiter*innen bereit, um die Klassenfahrt zu einer interaktiven, bildungspolitisch relevanten und auf Wunsch auch interkulturell nachhaltigen Erfahrung zu machen. Die Jugendbegegnungsstätten des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge etwa sind in unmittelbarer Nähe einer großen Kriegsgräberstätte gelegen, die als außerschulischer Lernort genutzt werden kann. Ähnliche Angebote verbinden sich mit manchen im Ausland gelegenen Gedenk- und Erinnerungsorten, etwa in Auschwitz oder Yad Vashem.
Lehrerfortbildungen
Damit sich Lehrer*innen vor Ort selbst über Bedingungen, Aufgaben und Angebote einer Gedenkstätte bzw. eines anderen Erinnerungsortes informieren können, bieten diese oft spezielle Lehrerfortbildungen an. Dabei lernen die Lehrkräfte die Möglichkeiten des Lernortes kennen und erfahren, wie man das außerschulische erinnerungskulturelle Lernen mit Gewinn in die fachlichen Unterrichtsprozesse integrieren kann. Die Fachkräfte der Gedenkstätte bzw. eines anderen Bildungspartners im Feld des erinnerungskulturellen Lernens können z. B. wertvolle Tipps zur Heranführung von Kindern und Jugendlichen an historische Sachquellen wie Denkmäler oder Bauwerke geben. Die Fachkräfte der Gedenkstätten und anderer Erinnerungsorte haben ein hohes fachliches Wissen auf verschiedenen historischen und kulturwissenschaftlichen Gebieten. In einer fachspezifischen Fortbildung können sie dies an Lehrerinnen und Lehrer weitergeben. Auch Angebote an die Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung sind ohne weiteres denkbar.
Schülerpraktika
Im Laufe ihrer Schulzeit müssen Schüler*innen mindestens ein Praktikum absolvieren. Unter Umständen können Gedenkstätten oder die Träger der außerschulischen politischen Jugend- und Erwachsenenbildung Praktikumsplätze anbieten. Ein Praktikum in der Gedenkstätte bietet viele Möglichkeiten: Schülerinnen und Schüler lernen die Arbeitsabläufe in einer lokalen Einrichtung kennen. Beim Recherchieren entwickeln sie die Fähigkeit zum wissenschaftlichen Arbeiten und haben die einzigartige Möglichkeit, Quellen unterschiedlicher Überlieferungsformen zu sichten. Zudem erhalten Praktikant*innen Einblick in den Bildungsauftrag des Lernortes Gedenkstätte.
Workshopangebote, z. B. für Projekttage
Gedenkstätten und andere Erinnerungsorte bieten für schulische Lerngruppen halb- oder ganztägige Workshops an. Von Fachkräften des Bildungspartners moderiert, bieten solche Workshops Schüler*innen die Gelegenheit zur intensiven Erarbeitung eines historisch-politischen Themas am authentischen Lernort. Die vom Fachunterricht abweichenden Arbeits- und Sozialformen, die räumlichen Besonderheiten des Ortes sowie die Ausrichtung der Themen an gegenwärtigen Fragen und Problemen können solche Lernangebote zu einer wirksamen und nachhaltigen Ergänzung des fachlichen Lernens machen.
Beispiel: Kindersoldaten und die »Aktion Rote Hand«
Das Thema Kindersoldaten bietet sich für einen Brückenschlag zwischen Vergangenheit und Gegenwart an. Auf Kriegsgräberstätten befinden sich zahlreiche Gräber von Kindern und Jugendlichen. Durch ihren Einsatz als Flakhelfer oder im Volkssturm sind diese Kinder zu Opfern von Krieg und Gewaltherrschaft geworden. Die Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Schicksalen von Minderjährigen, die in zahlreichen Kriegsgebieten zu Kampfhandlungen gezwungen werden und dabei furchtbarste seelische und körperliche Schäden davontragen, verleiht den Kriegsgräberstätten der vergangenen Kriege eine aktuelle Bedeutung. Die Teilnahme an der internationalen »Aktion Rote Hand« etwa bietet zahlreiche Möglichkeiten der Auseinandersetzung mit den Themen Krieg, Kinderrechten und Gewalt. Die Träger der außerschulischen politischen Jugend- und Erwachsenenbildung machen hierzu passende Workshopangebote für schulischen Lerngruppen.
http://www.aktion-rote-hand.de/
Beispiel: Angebote zur Demokratie- und Menschenrechtsbildung
Die erinnerungskulturellen Lernangebote der Gedenkstätten und anderer Träger der außerschulischen Jugendbildung zeichnen sich dadurch aus, dass sie sich an gegenwärtigen Fragen und Problemen orientieren. Viele Angebote verknüpfen das Lernen über den Nationalsozialismus z. B. mit der Einübung von Zivilcourage. Das können Trainingsprogramme sein, bei denen Handlungsstrategien gegenüber antisemitischen, antiziganistischen oder antiislamischen Tendenzen in der heutigen Gesellschaft im Mittelpunkt stehen. Oder es können Workshops sein, die aktuelle Migrationsaspekte mit verschiedenen Wanderungsbewegungen des 19. Und 20. Jahrhunderts verknüpfen.